Gerbald lag im Bett, als er sich immer wieder diese Frage stellte. Angefangen hatte alles damit, daß vor zwei Tagen ein Trupp Gaukler in Gardelsfurt haltmachte. Unter den Gauklern war auch ein Geschichtenerzähler, ein alter Mann, der mit jugendlicher Energie von den Sagen und Legenden vieler großer Helden berichtete.
Er erzählte von den Heldentaten Geron des Einhändigen und vom Heldenmut der heiligen Thalionmel. Gerbald war so fasziniert von den Geschichten, daß er darüber hinaus vergaß, die Ziegen wieder in die Ställe zurückzutreiben, bis ihn seine Mutter lautstark daran erinnerte. Verärgert über diese unpassende Störung, schließlich verteidigte Thalionmel gerade Neetha, lief er zu den Feldern, wo er bereits von den Hütehunden Jago und Dappert freudig begrüßt wurde. Immer noch verärgert machte Gerbald sich daran zusammen mit den Hunden die Herde zusammenzutreiben. Nun würde er nie erfahren ob Thalionmel Neetha verteidigen konnte, oder ob die Stadt in die Hände der ungläubigen Wüstensöhne gefallen war. Während Gerbald die Herde zurück zum Dorf trieb, machte er sich Gedanken um seine Zukunft, die ihm aber allesamt nicht gefallen wollten. Er hatte keine Lust tagaus tagein mit den Hühnern aufzustehen und bei Sonnenuntergang ins Bett zu gehen, unterbrochen von so interessanten und abwechslungsreichen Arbeiten wie Ziegen zu melken, Felder zu bestellen und Hühner zu füttern. Nein, so konnte es nicht weitergehen: Monat für Monat, Jahr für Jahr immer derselbe eintönige Tagesablauf. Er würde noch so enden wie der alte Irian, der mehr als zwanzig Götterläufe hart gearbeitet hatte ehe sein Hof durch einen Blitz in Brand geriet und völlig abbrannte, wobei er nicht nur sein ganzes Hab und Gut, sondern auch seine Frau verlor. Seitdem lebt er nur noch von dem was andere ihm aus Mitleid zustecken. Die Aussicht so zu enden ließ Gerbald frösteln: ein halbes Leben verschenkt, wofür? Er begann zu überlegen was ihn eigentlich noch in Gardelsfurt hielt: seine Familie kaum, die er zwar sehr liebte aber die ihm als Drittgeborenen keine Zukunft in Form eines Erbes bieten konnte. Seit seines Vaters Tod im Efferd war die Stimmung in der Familie ohnehin nur noch selten fröhlich und heiter. Wenn schon die Familie kein Grund ist zu bleiben wer, dann? Freunde, die ihm wirklich etwas bedeuteten, hatte er nicht mehr seitdem Viburn vor einigen Monden mit seiner Familie ins ferne Gareth gezogen war und Aldare mit Alrik, dem Sohn des Dorfschulzen, verheiratet worden war. So war es bereits weit nach Mitte nacht, als Gerbald endlich mit seiner Arbeit fertig war und müde, aber noch immer den Kopf voller Gedanken, ins Bett fiel. Am nächsten Morgen stand sein Entschluß fest: er würde Gardelsfurt verlassen. Der Ort kam ihm nicht erst seit diesem Tage so klein, so provinziell vor. Hier würde er nie große Abenteuer erleben und neue Freunde kennenlernen. Aber wohin sollte er zu erst gehen und wie sollte er seiner Familie seinen Entschluß klarmachen? Gerbald überlegte wen er wohl um Rat fragen könnte, während er geistesabwesend sein Frühstück einnahm. Nach einigem Überlegen fiel ihm Feron Oldebor, der Dorfschulze, ein. Seinen Sohn Alrik hatte Gerbald nie sonderlich gemocht, wohingegen er dessen Vater ob seiner Klugheit um so mehr schätzte. Unter dem Vorwand, noch einige Besorgungen machen zu müssen verließ er den Hof und ging direkt zum Haus des Schulzen. Als er an die Tür klopfte wurde er doch sehr nervös was Oldebor wohl aufgefallen sein muß, da er, als er Gerbald hineinbat, ihm als erstes einen Schnaps "zur Beruhigung" anbot. Kaum hatten die beiden in der Wohnstube Platz genommen, da sprudelte es auch schon aus Gerbald heraus, so daß Oldebor Mühe hatte den Ausführungen Gerbalds zu folgen. Als Gerbald schließlich fertig war und erwartungsvoll Oldebor ansah, konnte dieser ein breites Grinsen nicht unterdrücken. |
Dann sagte er zu Gerbald, daß er ihn sehr gut verstehen könne, da er selber auch einige Götterläufe als Abenteurer durch die Lande gezogen sei. Berühmt oder reich sei er dadurch zwar nicht geworden, jedoch habe er in dieser Zeit Erfahrungen gemacht die er um nichts auf der Welt missen möchte und die er so nie in Gardelsfurt gemacht hätte.
Er gab Gerbald den Rat sich zunächst nach Gareth zu wenden, welches übrigens gar nicht so "fern" war, genauer gesagt 18 Meilen, wobei Oldebor nicht mit Warnungen und Ratschlägen Gareth betreffend sparte. Zum Abschied schenkte er Gerbald sein altes Schwert mit der Bemerkung, daß er es jetzt wohl besser gebrauchen könne. Als Gerbald sich von Feron Oldebor verabschiedete, hatte die Sonne gerade ihren höchsten Stand erreicht. Gerbald war überrascht wie schnell die Zeit vergangen war und daß seine Mutter wohl sehr verärgert sein würde, weil er den ganzen Vormittag weg gewesen war ohne vorher seine Arbeiten erledigt zu haben. Und so kam es denn auch: Seine Mutter war in der Tat sehr verärgert über seine Abwesenheit und besonders darüber, daß seine Geschwister die Aussaat ohne ihn vornehmen mußten. Als seine Mutter ihn nach dem Schwert fragte, platzte es aus Gerbald heraus. Er erzählte ihr nicht nur, daß er nach Gareth gehen und Abenteuer erleben wolle, sondern auch, daß er für sich hier in Gardelsfurt keine Zukunft sähe und überhaupt, sei er mit siebzehn Sommern doch wohl alt genug, um auf eigenen Füßen zu stehen. Seine Mutter wurde daraufhin ganz ruhig, drückte Gerbald fest an sich und fragte ihn, ob er sich seiner auch ganz sicher sei, was Gerbald mit einem Kopfnicken bejahte. Daraufhin begann seine Mutter damit ihm einige Sachen zusammenzupacken darunter auch die von Gerbald immer gern gehörte Flöte seines Vaters. Während dessen fragte seine Mutter ihn wann er denn aufbrechen wolle. Gerbald sagte, daß er erst morgen früh abreisen würde, da er sich vorher noch von seinen Geschwistern verabschieden wolle. Den Rest des Tages verbrachte Gerbald dann damit zusammen mit seiner Mutter alles für die Abreise vorzubereiten, wobei sie nicht mehr als unbedingt nötig miteinander sprachen. Den ganzen Abend wartete Gerbald auf die Rückkehr seiner Geschwister, den älteren Brüdern Arve und Gerwulf und seiner um einen Sommer jüngeren Schwester Junivera. Als alle endlich eingetroffen waren, erzählte er ihnen von seinem Vorhaben. Arve hielt das ganze für einen Scherz, während Junivera versuchte ihn umzustimmen. Gerwulf hingegen hörte nur zu und sagte sonst nichts. Und so dauerte es bis in die Nacht hinein bis Gerbald allen klargemacht hatte, daß sein Entschluß endgültig war. Als er schließlich zu Bett ging, konnte er vor lauter Aufregung kaum einschlafen. Bald würde er Gareth, die Kaiserstadt, sehen! Aber auch Trauer überkam ihn, als er daran dachte, daß er bald ohne seine geliebte Familie in einer fremden Umgebung leben würde. Er überlegte, ob es nicht besser wäre schon vor Sonnenaufgang loszuziehen um sich und seiner Familie irgendwelche Abschiedsszenen zu ersparen. So verließ er nach unruhigem Schlaf um die vierte Stunde sein Bett, kleidete sich an und nahm das von ihm und seiner Mutter geschnürte Bündel. Gerbald schlich vorsichtig nach unten erschrak: dort wartete stumm seine Familie. Sie mußten es wohl allesamt geahnt haben, daß Gerbald früher als beabsichtigt losziehen wollte. So kam es also doch zu einer von Gerbald ungewollten Abschiedsszene, welche aber ohne Tränen und sehr herzlich ablief. Als Gerbald sich als letztes von seiner Mutter verabschiedete , drückte diese ihm acht blinkende Silbertaler in die Hand. Acht Silbertaler! Soviel Geld hatte Gerbald noch nie besessen. Er drückte seine Mutter zum letzten Mal fest an sich und dankte ihr für alles was sie jemals für ihn getan hatte. Die Sonne ging gerade auf, als Gerbald den heimatlichen Hof verließ. Als er den Ortsrand von Gardelsfurt erreicht hatte, drehte er sich ein letztes mal um, prägte sich diesen Anblick ein und zog dann weiter nach Gareth... |
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